Donnerstag, 31. Dezember 2009

Benedikt XVI. über die kritische Methode in der Theologie

Ich bin kein Christ. Ich bin noch nicht mal gläubig. Mir stößt jedoch immer wieder auf, wie der Zeitgeist versucht, alle Kulturen einzuebnen, zu umarmen, ganz gleich, wie groß die Unterschiede auch sein mögen. Schließlich ist alles „irgendwie dasselbe“, nicht wahr? Dies trifft auch und gerade auf die Religionen und den islamisch geprägten interreligiösen „Dialog“ zu, der kein Dialog ist, weil die Verschiedenartigkeit der Teilnehmer tunlichst ausgeklammert wird, also keine wahre Toleranz entwickelt, Konfliktpotential abgebaut und erst recht keine reformerischen Impulse gegeben werden können.

Man kann schon darauf zählen, dass auf fundierte Kritik am Islam postwendend die Forderung nach Kritik am Christentum erhoben wird (als ob das Christentum und die Kirchen nicht jederzeit kritisiert werden dürfen und auch kritisiert werden), nur um einem geradezu neurotischen Zwang nachzugeben und die Äquidistanz zu den beiden Weltreligionen wieder herzustellen.

Dreh- und Angelpunkt sind dabei immer wieder die „Heiligen Schriften“ von Christentum und Islam. Hinweise auf fragwürdige Koranpassagen werden mit Erinnerungen an alttestamentarische Vorschriften und Gewalttraditionen quittiert, im Neuen Testament muss der „Schwertvers“ und die Vertreibung der Geldwechsler aus dem Tempel herhalten, um die Verkünderpraxis Jesu und Mohammeds zu relativieren. Noch ehe man das Augenmerk auf den Charakter von AT/NT und Koran richtet ist festzustellen, dass die gewünschte inhaltliche Kongruenz selbst unter größten Anstrengungen nicht herzustellen ist.


Doch selbstverständlich ist auch der qualitative Unterschied zwischen den biblischen Schriften, die vom Geiste Gottes inspiriert, aber von fehlbaren Sterblichen aufgezeichnet wurden, und einem Buch wie dem Koran, der als „unerschaffen“ gilt, also aus der Zeit vor der Zeit datiert und folglich Allahs Wort selbst enthält, nicht zu übersehen. Wenn es christlicherseits überhaupt ein Pendant zum Koran gibt, dann ist das Jesus – während sich Allah freilich nicht in die Niederungen der Sterblichkeit hinablässt.


Hieraus wird ersichtlich, weshalb die islamische Geistlichkeit bis heute nicht bereit ist, den Koran seines Inhalts und seiner Genese nach einer kritischen Untersuchung auszusetzen. Es ist nun auch klar, warum der „Koordinationsrat der Muslime“ in Deutschland durch seinen Sprecher Ali Kizilkaya einen Prof. Muhammad Kalisch, der die These vertritt, dass Gott keine Bücher schreibt und der Islamkundelehrer ausbilden möchte, mit den Worten abkanzelt: „Die historisch-kritische Methode lehnen wir ab!“ Es scheint, als sei mit dem Koran und dem „Siegel der Propheten“ Mohammed auch die Forschung endgültig versiegelt.

Anders im Christentum. Der Charakter der biblischen Schriften und des Wirkens Jesu Christi gestattet dem Christen eine ganz andere Herangehensweise an die Quellen seines Glaubens. Die heutige katholische Theologie gestattet die kritische Methode nicht nur, sondern bezieht sie ausdrücklich in ihre Forschung ein, wie Benedikt XVI. im Vorwort seines lesenswerten Buches „Jesus von Nazareth“ ausführt:


[Es] gilt zunächst, dass die historische Methode - gerade vom inneren Wesen der Theologie und des Glaubens her – eine unverzichtbare Dimension der exegetischen Arbeit ist und bleibt. Denn für den biblischen Glauben ist es wesentlich, dass er sich auf wirklich historisches Geschehen bezieht. Er erzählt nicht Geschichte als Symbole über geschichtliche Wahrheiten, sondern er gründet auf Geschichte, die sich auf dem Boden dieser Erde zugetragen hat. Das Factum historicum ist für ihn nicht eine auswechselbare historische Chiffre, sondern konstitutiver Grund: Et incarnatus est – mit diesem Wort bekennen wir uns zu dem tatsächlichen hereintreten Gottes in die reale Geschichte.
Wenn wir diese Geschichte wegschieben, wird der christliche Glaube als solcher aufgehoben und in eine andere Religionsform umgeschmolzen. Wenn also Geschichte, Faktizität in diesem Sinn, wesentlich zum christlichen Glauben gehört, dann muss er sich der historischen Methode aussetzen – der Glaube selbst verlangt das. (…)
Die historisch- kritische Methode – wiederholen wir es – bleibt von der Struktur des christlichen Glaubens her unverzichtbar. Aber zweierlei müssen wir hinzufügen: Sie ist eine der grundlegenden Dimensionen der Auslegung, aber sie schöpft den Auftrag der Auslegung für den nicht aus, der in den biblischen Schriften die eine Heilige Schrift sieht und sie als von Gott inspiriert glaubt.
(Ratzinger, Jesus von Nazareth, S. 14-15, Freiburg i. Breisgau 2007)
Hingegen lassen die im Islam herrschenden dogmatischen Zwänge eine umfangreiche, fortgesetzte Revision der islamischen Geschichte als den einzig widerstandslos gangbaren Weg erscheinen, dem Islam zumindest äußerlich den Anschein von Reformierbarkeit und Offenheit zu verleihen. Alles, was nicht durch die Formel „Islam ist Frieden“ abgedeckt wird, sich aber dennoch islamisch nennt, wird somit nicht kritisiert, sondern gewohnheitsmäßig ignoriert.

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