Dienstag, 22. Dezember 2009

Raddatz: "Rechtsstaat und Scharia"

Orientalist Dr. Hans-Peter Raddatz schreibt in der katholischen "Neuen Ordnung" nach wie vor höchst interessante - wenngleich nicht immer leicht verständliche - Artikel zum Islam bzw. über die Eigenheiten des sogenannten "Dialogs" mit ihm. Der Artikel aus der aktuellen Ausgabe der NO ist vollständig betitelt mit "Rechtsstaat und Scharia. Islamdialog zwischen Christenverfolgung und Moscheebau". Da die Moschee bekanntlich niemals nur ein reiner Sakralbau war, sondern in ihr und ihrem engsten Umfeld zu jeder Zeit profan-weltliche Dinge wie Warenumschlag und politische Indoktrination ihre Heimstatt hatten, fällt ihr in der Koordinierung des muslimischen Alltags traditionell eine Bedeutung zu, die weit über die Rolle der Kirche und der Synagoge im Christen- bzw. Judentum hinausgeht.
Dazu gehört auch Nahme und Vergabe der Zakat, die in der westlichen Orientalistik nach wie vor häufig als Almosensteuer bezeichnet wird, was falsch ist, da das Almosen notwendigerweise Assoziationen mit dem christlichen Wert der Nächstenliebe weckt.
Zakat ist eine der 5 Säulen des Islam, jenem lange nach Mohammeds Tod aus dem Koran kompilierten System, das dem frühen Islam neben dem Dschihad auch ein auf Ritenfrömmigkeit basierendes Heilsversprechen stiftete. Heute wird sie auch als "vergessene Säule des Islam" bezeichnet, weil mit der Übernahme des westlichen Nationalstaatsmodells in der "islamischen Welt" die Strukturen zur Nahme und Vergabe von Zakat zusammenbrachen. In den wenigsten "islamischen" Staaten wird Zakat heute direkt durch eben den Staat erhoben.
Grundlage von Zakat ist wie erwähnt der Koran:
Die Almosen (sadaqaat) sind nur für die Armen und Bedürftigen bestimmt, (ferner für) diejenigen, diedamit zu tun haben, (für) diejenigen, die (für die Sache des Islam) gewonnen werden sollen, für (den Loskauf von) Sklaven, (für) die, die verschuldet sind, für den heiligen Krieg und (für) den, der unterwegs ist. (Dies gilt) als Verpflichtung von seiten Allahs. Allah weiß Bescheid und ist weise. (Sure 9, Vers 60, übers. nach Paret)
Oder mit anderen Worten: Zakat ist da für die Ausbreitung des Islam.
Nun führt Dr. Raddatz aus:
Dabei bildet der Ritus-Alltag-Verbund als Lebensmitte der islamischen Kultur das zwingende Ergebnis der in Koran und Tradition stereotyp wiederholten Notwendigkeit von Gebet (salat) und Bußopfer (zakat). Letzteres wird allzu oft als „Almosensteuer“ mißverstanden, geht jedoch in seiner sakralen und profanen Wirkung weit über den Inhalt dieses Begriffes hinaus. Zakat als Bußopfer bedeutet zugleich Reinigung, Rechtfertigung und Wachstum, womit – dem Ablaßbetrieb und nachfolgenden Calvinismus nicht unähnlich – die Einbindung des privaten Besitzes in das islamische Gemeinwohl gewährleistet und für den großzügig Spendenden die Heilszusage Allahs abgesichert werden sollen. So wie das Gebet den Tagesablauf regelt, so sorgt das Bußopfer dafür, daß sich das gesamte islamische Geschäftsleben unter der Ägide der Scharia vollzieht.
Leicht erkennbar führt diese Schnittstelle auch die westliche Chimäre einer Trennung von Islam und Islamismus ad absurdum. Natürlich ist das Gegenteil der Fall: „Gemäßigter“ Islam und „radikaler“ Islamismus treiben nach außen ein dialektisches Verwirrspiel, das sich nach innen – über Gebet und Bußopfer – als „der Islam“ vollzieht und nach außen im institutionellen Tandem der Moschee und Stiftung sichtbar wird. Wer regelmäßig betet, zumindest am politischen Freitags-„Gebet“ teilnimmt, und seinem Besitzstand angemessen spendet, ist ein vollwertiger Muslim und kann nicht nur mit dem Wohlwollen Allahs und der Gemeinschaft, sondern auch damit rechnen, von den Repressalien der Islamisten verschont zu bleiben.
Übertreibung? Selektive Wahrnehmung? Keineswegs. Ich hole einen Artikel der "Islamischen Zeitung" aus den Tiefen des Blog-Archivs, in dem ein praktizierender Muslim, Khalil Breuer, Zakat in seinen eigenen Worten erklärt:
[Im Namen der Koordinierung aller Muslimverbände ist es interessanter,] die Muslime nach dem höchsten gemeinsamen Nenner auszurichten. Dieser höchste Nenner ist beispielsweise die Zakat, eine der Säulen des Islam und in der Offenbarung gleich Dutzende Mal in der Bedeutung mit dem Gebet gleichgesetzt.
Wer immer die Muslime in Deutschland repräsentieren will, muss also auch solche Fragen, die augenblicklich eine Priorität haben, klar beantworten. In einem Land, dass immer größere ökonomische und soziale Probleme hat, ist die Nahme der Zakat und die lokale Verteilung elementar. Hier braucht es wirklich Koordination! Die Zakat wird gesammelt und verteilt zum Wohle der Muslime im Lande, wie jeder weiß, ohne dass die ethnische Zugehörigkeit etwa eine Rolle spielt.
So gesehen ist die korrekte Nahme und Verteilung der Zakat der größte und wichtigste Einheitsstifter der Muslime. Oder mit anderen Worten: Ohne Zakat keine Einheit, keine Glaubwürdigkeit, keine Ziele und notwendigerweise eine schleichende Wandlung von ehemals politischen Formationen hin zu religiös motivierten Wirtschaftsunternehmen.
(Quelle: Islamische Zeitung, Artikel ohne Online-Abonnement nicht mehr aufrufbar)
Berücksichtig man die Restauration der Zakat-Säule und anerkennt, dass der deutschland- und europaweite "Dialog" mit dem Islam die orthodoxen vor den säkularen Muslimen bevorzugt und Agnostiker usw. in der Integrationsdebatte erst gar nicht vorkommen, ist die weitere Verflechtung zwischen Politik und Religion zu Lasten der Nichtmuslime vorprogrammiert.
Übrigens nennt auch Aiman Mazyek (ZMD) Zakat vorsichtshalber nicht Zakat. Doch für Islamisten ist es wesentlich, dass sie das Wesentliche verschweigen:


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