Sonntag, 20. Dezember 2009

G.E. Von Grunebaum: Der Dhimmi



Gustav Edmund von Grunebaum (1909 – 1972), Koryphäe auf dem Gebiet der Orientalistik, legte 1963 mit “Der Islam im Mittelalter” ein großes Werk über die islamische Zivilisation vor. Ausführlich geht er auf kulturelle Aspekte des Islam wie Menschenbild, Gesetz und Staat, Offenbarung, Literatur und Philosophie ein. Für islaminteressierte Leser ist “Der Islam im Mittelalter” ein höchst informatives Werk – nicht zuletzt auch deswegen, weil v. Grunebaum, der alles andere als “islamophob” war, es nicht nötig hat, die Augen vor den Schattenseiten der islamischen Herrschaft und Lebensweise zu verschließen, so wie es viele heutige “Islamexperten” tun, die sich in so vollkommener Harmonie mit ihrem Forschungsobjekt befinden, dass man meinen könnte, sie seien bereits konvertiert. Meines Wissens ist das Werk nur noch im Antiquariat erhältlich.
Im Folgenden ein Auszug aus dem Kapitel “Gesellschaftsordnung”:

Die vornehmsten Trennungslinien, die sich vielfach überkreuzend die muslimische Gesellschaft des Mittelalters durchschnitten, waren vier: die erste separierte den Muslim vom Nicht-Muslim, die zweite hielt die verschiedenen religiösen Gruppen innerhalb des Islam voneinander fern, die dritte bezeichnete die diversen im Islam vereinten nationalen Einheiten, die vierte bezeichnete die sozialen Unterschiede im engeren Sinne des Wortes und ordnete die Menschen innerhalb einer mehr oder weniger stabilen Hierarchie der Berufstätigkeiten.
Die einschneidendste dieser Trennungslinien war die Schranke, die Gläubige und Ungläubige voneinander fernhielt. Das Verhältnis dieser beiden Menschengruppen ist durch eine fundamentale Tatsache festgelegt: Gleichheit zwischen Muslim und Nicht-Muslim besteht nicht und kann nicht bestehen. “Der Islam ist die abschließende Religion, der rechte Weg, die letzte Wahrheit. Die ihm folgen, sind darum die Erwählten Allahs und finden sich mit Notwendigkeit anderen Gruppen überlegen, die immer noch etwas anhangen, das weniger ist als die abschließende Wahrheit, das überlebt, minderwertig, mit einem Wort: passe ist. Die Muslime sind sich dessen bewußt, daß dank dieser Überlegenheit sie das souveräne Recht auf die Herrschaft besitzen.”
Die Welt gehört von Rechts wegen dem Bekenner des wahren Glaubens. Er hat gewisse Verpflichtungen solchen Gemeinschaften gegenüber, die einen Teil der göttlichen Offenbarung besitzen, den Heiden gegenüber jedoch gar keine. Das muslimische Gesetz läßt Götzendienern bloß die Wahl zwischen Bekehrung und Tod. Die Theorie läßt somit die Möglichkeit einer heidnischen Minorität nicht zu. Es sind eigentlich nur die Christen, die Juden und die Zoroastrier, die vom Standpunkt der Scharia als eine organisierte Minorität anerkannt werden können. Doch überbrückt die Zuweisung einer klar umschriebenen Stellung innerhalb der muslimischen Welt in keiner Weise den Abgrund in der sozialen Geltung. Kraft seiner Zugehörigkeit zum Islam ist der Gläubige seiner Substanz nach ein überlegenes Menschenwesen; diese Überlegenheit auszugleichen gibt es für den Ungläubigen kein anderes Mittel, als den Islam anzunehmen und auf diese Weise selbst ein Mitglied der herrschenden Gemeinschaft zu werden. Daß die Muslime im Gegensatz zu den Bekennern beinahe aller anderen großen Religionen während ihrer Frühgeschichte kein einziges Mal einer sich lange hinziehenden Verfolgung erheblichen Maßstabs ausgesetzt waren, hat ihre Überzeugung, die Erwählten des Herrn zu sein, zweifellos gefestigt.
Der Prophet hat Distanzhaltung eingeschärft: “O ihr, die ihr glaubt, nehmt nicht die Juden und Christen zu Freunden! … Wer von euch sie zu Freunden nimmt, der ist gewißlich einer von ihnen. Gott wird die Übeltäter nicht rechtleiten.” Die offizielle Einstellung Christen und Juden gegenüber spiegelt sich in einem fatwa, Rechtsgutachten, des vierzehnten Jahrhunderts.
“Es ist bekannt, daß die Juden und die Christen mit den Zeichen des Zorns und der Verfluchung des Herrn gebrandmarkt sind, weil sie ihm Genossen beigesellen und hartnäckig seine Zeichen leugnen. Gott hat seine Diener die Gebete gelehrt, die sie verwenden sollen, wenn sie ihn ansprechen. Er hat ihnen anbefohlen, in der Richtung auf diejenigen hin zu marschieren, auf die er seine Gnade ausgegossen hat, auf dem Pfad seiner Propheten, der Gerechten, der Märtyrer und der Tugendhaften unter den Menschen; er hat ihnen ebenfalls anbefohlen, sich von dem Pfad der Frevler fernzuhalten, denen er seine Gnade entzogen und die er vom Paradies ausgeschlossen hat. Die seinen Zorn erregt haben und die in die Irre gegangen, sind von seiner Rache und seinem Fluch beladen. Nun aber sind nach dem Text des Koran die Leute des Zornes das jüdische Volk und das vom Irrtum auf Abwege geleitete Volk der trinitarischen Christen, die das Kreuz anbeten.” [Anm.: vgl. Koran Sure 1!]
Diese Einstellung zu den Besitzern des Buchs, ahl al-kitab, wie Juden und Christen genannt werden, schließt seitens des Muslims keinerlei Verpflichtung ein, sie zu bekehren oder auszutilgen. Auf dieser Auffassung beruht der Ruf des Islams als einer Religion der Toleranz. Dieser Ruf ist durchaus gerechtfertigt, insofern es Christen und Juden verstattet ist, ihren Glauben zu bekennen; er ist aber völlig ungerechtfertigt, wenn, wie dies der Auffassung des modernen Westens entspricht, Toleranz Gleichheit vor dem Gesetz miteinschließt sowie die Zulassung zur Teilnahme am bürgerlichen und politischen Leben unter zumindest theoretisch denselben Bedingungen wie die herrschende Mehrheitsschicht.
Die Schriftbesitzer werden als dimmi betrachtet, das heißt als Personen, die sich im Besitz eines Schutzvertrags, dimma, befinden, demzufolge sie auf bestimmte Rechte Verzicht tun und als Gegenleistung die Ausübung ihrer Religion und ihrer Gebräuche zugesichert erhalten. Der sogenannte Vertrag, ahd, des ersten Umar ist von vielen Seiten und mit großer Beredsamkeit als ein Dokument des Liberalismus hingestellt worden. Daß dieses Dokument de facto ein Abstrakt aus einer großen Anzahl einzelner Vertragsabmachungen bzw. eine annähernde Beschreibung der tatsächlich bestehenden Zustände um das Jahr 800 ist, bedeutet in unserem Zusammenhang nicht allzu viel. Es belegt jedoch über allen Zweifel die Isolierung der Nicht-Muslime innerhalb ihrer eigenen Religionsgemeinschaften. Ihre persönliche Sicherheit und ihr Privateigentum werden ihnen als Entschädigung für permanente bürgerliche Ungleichheit garantiert. Die folgende ist die knappste Version des Vertrags; sie ist in Form eines Briefes gegeben, in dem Umar ein ihm seitens einer christlichen Gemeinde zugegangenes Schreiben zitiert.
“Als du (d.h. Umar) zu uns kamst, erbaten wir von dir Sicherheit für unser Leben, unsere Familien, unser Eigentum und unsere Religionsgenossen unter den folgenden Bedingungen: wir würden persönlich (eigtl. aus [unserer] Hand) in die des Steuereintreibers und in demütiger Haltung Kopfsteuer bezahlen; keinen Muslim daran hindern, bei Tag oder bei Nacht in unseren Kirchen abzusteigen, ihn dort ehrenvoll drei Tage lang aufzunehmen, ihm Speise geben und ihm ihre Tore öffnen; den Holzgong (naqus, der den östlichen Kirchen als “Glocke” dient) nur leicht anschlagen und beim Kirchengesang unsere Stimmen nicht erheben; … wir würden (ferner) keine Kirche, Kloster, Einsiedelei oder Zelle bauen, noch auch solche (religiöse Gebäude), die verfallen sind, wieder herrichten; uns nicht in einem (solchen Gebäude) versammeln, wofern es sich in einem muslimischen Viertel befindet noch auch (überhaupt), wenn Muslime zugegen sind; unsere Vielgötterei, sirk, nicht zur Schau tragen, nicht für sie Propaganda machen; kein Kreuz (außen) an irgendeiner unserer Kirchen aufrichten noch noch auch an irgendeiner Straße oder irgendeinem Marktplatz der Muslime; den Koran weder lernen noch unseren Kindern lehren; keinen unserer Angehörigen an der Annahme des Islam hindern, falls er (den Übertritt) begehrt; … den Muslimen in Tracht, Erscheinung und Sätteln nicht ähneln…; sie ehren und respektieren und uns vor ihnen erheben, wenn wir mit ihnen zusammentreffen; … unsere Häuser nicht höher machen (als die ihren); keinerlei Waffen und Schwerter behalten und diese weder in einer muslimischen Stadt noch auf Reisen durch muslimisches Gebiet tragen; … keinen Muslim schlagen; keinen Sklaven an uns zu nehmen, der Eigentum von Muslimen gewesen ist. Diese Bedingungen erlegen wir uns selbst und unseren Religionsgenossen auf; wer sie verwirft, genießt keinen Schutz, dimma.”
Es ist nicht zu übersehen, daß allen diesen Beschränkungen zum Trotz Nicht-Muslime häufig erheblichen Einfluß in der Regierung erlangten. Es ist aber ebensowenig zu übersehen, daß es genaugenommen ungesetzlich war, Nicht-Muslimen exekutive Posten zu übertragen, daß sie diese Stellungen nur geduldet bekleideten und daß die Kreise der Frommen die laxe Handhabung der kanonischen Bestimmungen von seiten mancher Herrscher nachsichtslos bekämpften. Worauf es ankommt, ist nicht so sehr, daß in manchen Zeiten Juden und Christen ungestraft die zahlreichen ihnen auferlegten Beschränkungen mißachteten, sondern daß alle Gemeinschaften, die Muslime ebenso wie die Nicht-Muslime, sich ständig der Tatsache bewußt waren, daß die Scharia unwiderrufliche Beschränkungen des Aktionsbereichs der ahl al-kitab enthielt und daß die im täglichen Leben vielfach bestehenden Erleichterungen im Geist eines laisser-faire mit den strikten Weisungen des göttlichen Gesetzes eigentlich nicht vereinbar waren.

Zitatende v. Grunebaum
Der Islam ist eine Religion des Friedens.” – Claudia Roth
Zieht aus, leicht und schwer, und kämpft mit eurem Gut und mit eurem Blut für Allahs Sache! Das ist besser für euch, wenn ihr es nur wüßtet!” – Koran, 9,41


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