Den US-amerikanischen Orientalisten Gustav Edmund von Grunebaum (1909-1972) habe ich an dieser Stelle bereits mit seinem Werk Der Islam im Mittelalter zitiert. Grunebaum gehört zu einer Generation von Wissenschaftlern, die sich bei der Beschreibung des Systems "Islam" nicht zu schade war, auch Grautöne zu erfassen. Nachfolgend nun ein weiterer Auszug aus Der Islam im Mittelalter, diesmal zur Rolle der Frau. Man halte sich dabei die abwiegelnden und beschönigenden Kommentare zum Thema "Frau im Islam" vor Augen, die zeitgenössische Islamfunktionäre ständig im Munde führen.
Es ist wiederum die Sitte der Stadt, die sich in der Verschleierung und Abschließung der freien muslimischen Frau durchgesetzt hat. Die mekkanische Frau von Stand scheint den Schleier getragen zu haben. Muhammads Wunsch, die Frauen an den gottesdienstlichen Übungen und bis zu einem gewissen Grad am geistlichen Leben der Gemeinde überhaupt teilnehmen zu lassen, lief besonders in den Ostprovinzen den Gepflogenheiten zuwider, und die Gelehrten, gewohnt, im Zweifelsfalle die striktere Auslegung des Gesetzes vorzuziehen, ließen den sar [Anm.: (offenbartes) Gesetz] streng auf dem Ausschluss der Frau von jeder Tätigkeit bestehen, die danach angetan war, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sie zu lenken. Weibliche Heilige, weibliche Prediger, weibliche Gelehrte treten auf und finden weitherzige Anerkennung; es ist aber nicht zu verkennen, dass der durchschnittliche Muslim es lieber sah, wenn die weiblichen Mitglieder seiner Familie sich im Hause hielten, als wenn sie durch ungewöhnliche Leistungen berühmt wurden.Anmerkungen sind von mir.
Muhammad gewährte der Frau freie Verfügung über ihr Eigentum und verbesserte ihre erbrechtliche Stellung. Doch ließ er die allgemeine Einstellung bestehen, die der Frau in der Wertschätzung der Gesellschaft einen untergeordneten Rang anwies. "Die Männer sind über die Frauen gesetzt um dessentwillen, was Gott den einen mehr als den anderen an Vorzügen geschenkt hat, und wegen des Besitzes, den sie ausgelegt haben (als Brautschatz); rechtschaffene Frauen sind darum fügsam und hüten das Verborgene als Entgelt dafür, dass Allah sie hütet; diejenigen aber, von denen ihr Widerspenstigkeit fürchtet, ermahnt, vermeidet im Bett und schlagt; wenn sie euch dann gehorchen, so unternehmt keine (weiteren) Schritte gegen sie; wahrlich, Allah ist erhaben und groß." [Anm.: vgl. Koran, 4:34]
An dem Axiom von der natürlichen Überlegenheit des männlichen Geschlechts, das seine gesetzlichen und gesellschaftlichen Vorrechte begründen muss, wird in muslimischen Ländern auch heute noch festgehalten, wo man "übermäßige" Freiheit für die Frau mit Besorgnis sieht und wo der igma [Anm.: Konsens] nur ganz allmählich äußere Angleichung an den europäischen Gebrauch billigt, dabei aber die Grundhaltungen mehr oder minder bestehen lässt, welche die Beziehungen der Geschlechter im allgemeinen und die öffentliche Stellung der Frau im besonderen bestimmen.
Der Koran gestattet die Polygamie, beschränkt sie aber auf gleichzeitiges Ehebündnis mit vier dem Mann gesetzlich verheirateten Frauen. Die Anzahl der dem Mann zusätzlich gestatteten unfreien Konkubinen ist vom kanonischen Recht nicht limitiert. Scheidung ist für den Mann leicht, für die Frau beinahe unerreichbar. Der Mann ist nicht gehalten, Gründe für die Entlassung der Frau anzugeben, muss jedoch im allgemeinen von der Frau in die Ehe eingebrachtes Vermögen ihr bzw. ihrer Familie zurückstellen.
Die Ausschaltung der Frau aus dem öffentlichen wie aus dem gesellschaftlichen Leben - die freie Frau darf unverschleiert nur von ihrem Mann und den Verwandten, mit denen das Gesetz die Ehe untersagt, erblickt werden - war zur Zeit Harun ar-Rashids [Anm.: Kalif von 786 - 809] abgeschlossen. Sie mochte im persönlichen Verkehr die Überschreitung der Grenzen zwischen den Klassen erleichtern, ließ aber im ganzen das gesellschaftliche Leben verarmen. Auch brachte sie eine Entwicklung mit sich, die antiker Sitte sehr nahe kam, indem der gebildete Mann seine geistigen Interessen und Freuden mit einer Klasse Frauen teilte, die zu denen seines Familienkreises in keinerlei Beziehung standen.
Siehe auch: G.E. von Grunebaum: Der Dhimmi
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