Mittwoch, 6. Januar 2010

Attentat auf Westergaard - eine Nachlese


Die Reaktionen auf Fälle wie den gerade noch vereitelten Mordanschlag auf den Zeichner Kurt Westergaard („Mohammed-Karikaturen“) werfen ein Schlaglicht darauf, wie es in den Oberstübchen der Vertreter der schreibenden Zunft zwischen Amrum und Allgäu aussieht – nämlich katastrophal. Was in überregionalen Zeitungen wie der SZ oder ZEIT bundesweit verbreitet wird, setzt sich bis auf die Ebene kleinster Provinzblätter fort. Es ist immer die gleiche Soße: Westergaard habe seine bekannteste Zeichnung, die eines bärtigen Mohammed mit Bombe im Turban, die Lunte brennt bereits, in Jyllands Posten, einer „betont islamkritischen“, „rechtsliberalen“ oder gar „rechtspopulistischen“ Zeitung veröffentlicht. - Ach so! Ja, ja! Dann ist es ja kein Wunder, dass irgendwann ein axtschwingender Irrer vor der Haustür steht! Dass das Attentat auf Westergaard nur das vorläufig letzte Kapitel in einer globalen Welle der Gewalt ist, der seit der Veröffentlichung der sogenannten „Mohammed-Karikaturen“ in Jyllands Posten bislang etwa 100 Menschen zum Opfer gefallen sind, wird in solchen Darstellungen geflissentlich unterschlagen. Denn der Zusammenhang würde die von exponierten Islamfunktionären und ihren Verbänden auch diesmal wieder gebetsmühlenhaft geäußerte Floskel „das hat nichts mit dem Islam zu tun“ augenblicklich ad absurdum führen.
Dieser Zusammenhang besteht nicht nur zwischen dem jüngsten Anschlag und den Gewaltexzessen, welche die deutsche Presse ebenso verharmlosend wie verfälschend „Karikaturenstreit“ genannt hat und die schon an sich in Planung und Durchführung schwerlich das Werk von „Einzeltätern“ sein konnten. Bei diesen Tätern handelte es sich auch nicht um Buddhisten, Angehörige der Heilsarmee oder Außerirdische, sondern um – Muslime. Es besteht ebenso ein Zusammenhang mit der Hamas, dem Ayatollah-Regime in Iran, Al Kaida, der Muslimbruderschaft in Ägypten, tschetschenischen und uigurischen Extremisten, dem Islamismus der Türkei und den islamischen Fanatikern, die noch im fernsten Osten die Ureinwohner drangsalieren. Diese Phänomene sind keine Randerscheinungen, sondern veritable Massenbewegungen; bei aller Heterogenität gibt es einen Kitt, der sie alle eint: den Islam.
Es gibt eine wesentliche Gemeinsamkeit und einen wesentlichen Unterschied zwischen dem „Fall Westergaard“ und dem „Fall Rushdie“. Salman Rushdie hatte sich vor mehr als 20 Jahren wegen einer Passage in einem Roman eine fatwa des Schiiten Khomeini eingehandelt, der zugleich ein Kopfgeld auf den Schriftsteller aussetzte. Bis heute schweben sowohl Rushdie selbst als auch seine Übersetzer und Verleger in latenter Gefahr. Die Gemeinsamkeit besteht nun in dem breiten Echo, das beide „Skandale“ in der gesamten islamischen Welt auslösten. Das Skandalon, den Islam, Mohammed und Allah selbst „angegriffen“ zu haben, verlieh der extremistischen Propaganda eine Wirkmächtigkeit, die weit über die Grenzen Dänemarks und Irans hinausging und sogar die Schranken islamischer „Vielfalt“, der unterschiedlichen und miteinander konkurrierenden Schulen und Richtungen, mühelos überwinden konnte. Im Falle der „Mohammed-Karikaturen“ verbrannte ein verhetzter Mob in Afrika, Nah- und Mittelost Botschaften, Kirchen und Ungläubige, während die Vertreter der europäischen Islam-Diaspora die Europäer ob ihrer „Islamophobie“ tadelten und mehr Respekt vor „religiösen Gefühlen“ forderten. Hier besteht insofern eine verblüffende Parallele zur fatwa gegen Rushdie, als sich keine einzige islamische Autorität von Rang befleißigte, Rushdie in Schutz zu nehmen – und zwar nicht in erster Linie als Muslim, sondern als Mensch, der sein natürliches Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nimmt. Im Gegenteil – die Reaktionen auf die fatwa von „liberalen“ Muslimen von Cat Stevens alias Yussuf Islam bis zu den Ahmadis pendeln zwischen Verständnis und offener Unterstützung, unterscheiden sich nur graduell, nicht aber substanziell vom theologisch grundierten Richterspruch des Ayatollah.
Der große Unterschied zwischen beiden Fällen liegt freilich in der jeweiligen Perzeption durch die Öffentlichkeit, insbesondere der Presse. Niemand verkörpert den Wandel, der sich in den letzten 20 Jahren vollzogen hat, besser als Schriftsteller Günter Grass. Während Grass damals noch zu denjenigen gehörte, die sich persönlich dafür einsetzten, dass das verfemte Werk und der verfolgte Autor die gebührende Aufmerksamkeit erhielten, bezeichnete er die Gewaltwelle auf die „Mohammed-Karikaturen“ als „fundamentalistische Reaktion“ auf eine „fundamentalistische Tat“, womit er nicht nur Ursache und Wirkung vertauschte, sondern sich im Tenor im völligen Einklang mit der islamischen Seite befand, die über die „Organisation der islamischen Konferenz“ (OIC) und ihren Generalsekretär Ihsanoglu verlauten ließ, die „Mohammed-Karikaturen“ hätten die „islamische Welt“ ebenso tief getroffen wie der 11. September den Westen. Folgerichtig blieb die Solidarität mit Jyllands Posten aus, die bei Salman Rushdie noch überall zu spüren war. Bis heute hat kaum eine handvoll deutscher Zeitungen die Karikaturen je abgedruckt, auch wenn die FAZ in ihrem jüngsten Kommentar genau das Gegenteil vorlügt. Ginge es heute darum, zwischen der Freiheit der Meinung, der Presse, der Kunst und dem Schutz „religiöser Gefühle“ abzuwägen, hätten die notorisch beleidigten Anhänger des Islam die Nase vorn. Denn durch die Bank fällt der milde Spott auf, mit dem die Kommentatoren Westergaards Haltung bedenken, er stehe für Meinungsfreiheit und westliche Werte ein. Insofern war das Attentat auf Westergaard durchaus erfolgreich, auch wenn sich sein Opfer im letzten Augenblick retten konnte. „Bestrafe einen, erziehe hundert“ wusste bereits Mao.

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