Bei Texten, die "Islamwissenschaftler" in der Tagespresse veröffentlichen, zeichnet sich seit Jahren ein bedauerlicher Trend ab: mit Wissenschaft haben diese Publikationen weniger gemein als mit Weltanschauung; die Verfasser üben sich weniger im kritisch-distanzierten Blick des Wissenschaftlers, als in der Autosuggestion des wahrhaft Gläubigen. Kurz - man gewinnt mitunter den Eindruck, dass dort jemand schreibt, der innerlich oder auch tatsächlich selbst zum Muslim geworden ist.
Eine Ausnahme bildet Prof. Tilman Nagel, ein Wissenschaftler von internationalem Renommee, der kurz nach seiner Emeritierung zwei Bände vorgelegt hat, bei denen es sich nach nahezu einhelliger Einschätzung der Fachwelt um neue Standardwerke handelt, mit denen Generationen von künftigen Islamissenschaftlern arbeiten werden: Mohammed - Leben und Legende, sowie Allahs Liebling: Ursprung und Erscheinungsformen des Mohammedglaubens (beide 2008).
Nagel versteht es, in klaren Worten Zusammenhänge deutlich zu machen, die in der Banalität des alltäglichen "Dialogs" mit dem Islam niemals zur Sprache kommen. Denn der Wissenschaftler ist sich im Gegensatz zu den Dialogführern bewußt, dass im sozio-kulturellen Kontext (etwa des Islam) freilich nicht nur explizite Gebote und Verbote Wirkungen zeitigen, sondern auch deren implizite und nachgeordnete Aspekte. (Als Beispiel hierfür mag das Wechselspiel zwischen Zwang, Freiwilligkeit, Unterwerfung und subjektiver Aufwertung beim islamischen Gebot der Verschleierung der Frau gelten.) So entsorgt Nagel in seinem jüngsten Artikel in der FAZ (wenngleich eher beiläufig) höchst plausibel die regelmäßige Behauptung des "Dialogs", dass sogenannte Ehrenmorde "nichts mit dem Islam zu tun" hätten:
Hierzu [den von Mohammed-Allah erlassenen Ehebestimmungen] zählt unter anderen die Wartefrist, die verstreichen muss, bevor eine verstoßene oder verwitwete Frau wieder verheiratet werden darf; die genealogische Zuordnung eines sich möglicherweise in ihrem Leib entwickelnden Kindes muss eindeutig sein. Die Unterwerfung der Frau, vor allem in Sure 4 geregelt, ist für die von Mohammed ins Leben gerufene Religion so wichtig, dass er nach islamischer Überlieferung in der Predigt, die er während seiner letzten Wallfahrt gehalten hat, feststellt: „Die (Ehe-)Frauen haben einen Anspruch gegen euch (Ehemänner), und ihr habt einen Anspruch gegen sie. Denn es obliegt ihnen, niemandem zu erlauben, sich in euer Bett zu legen, und niemandem, den ihr verabscheut, Zutritt zu eurem Haus zu gewähren, es sei denn mit eurer Erlaubnis. Handeln sie dem zuwider, so gilt, dass Allah euch gestattet hat, sie im Bett zu meiden und sie zu schlagen, allerdings, ohne sie grausam zu quälen (vgl. Sure 4, 34). Wenn sie dann ihr Fehlverhalten aufgeben und euch gehorchen, dann stehen ihnen Kleidung und Nahrung zu, wie es recht und billig ist. Die Frauen sind bei euch wie Kriegsgefangene, die über nichts aus eigener Macht verfügen. Ihr aber habt sie von Allah zu treuen Händen erhalten; dank seinem Wort gebietet ihr über ihre Scheide. Darum seid gottesfürchtig im Umgang mit den Frauen und nehmt euch ihrer im Guten an!“
Was in Sure 4 und in der wohl jedem Muslim geläufigen Predigt Mohammeds ausgesagt wird, schlägt sich im System der Scharia als eines der fünf Fundamentalgüter des Daseins nieder, deren Missachtung Allah mit strengen Strafen bedroht: die genealogisch eindeutige Nachkommenschaft. Die übrigen vier sind die richtige Religion, also der Islam, das Leben, das Eigentum und der Verstand – er darf beim Vollzug der Riten nicht getrübt sein, weswegen der Genuss berauschender Getränke verboten ist. Die Verletzung einer dieser fünf Grundlagen des Gemeinwesens, das nach islamischem Glauben von Allah selbst durch die von ihm angeleitete Tätigkeit seines Propheten gegründet wurde, tastet mithin die Autorität Allahs an. Deswegen verfügte Allah im Koran – nach muslimischer Überzeugung Allahs unmittelbares Wort – Strafen, die die islamische Gerichtsbarkeit verhängen muss, sobald jemandem ein entsprechendes Delikt nachgewiesen wurde. Der Richter hat in einem solchen Fall keinen Spielraum für eigene Entscheidungen.Unter das Fundamentalgut der einwandfreien Abstammung rechnet die Schariawissenschaft auch die Ehre, verstanden als die Reputation der jeweiligen Sippe, nicht des Einzelnen. Deshalb ist es, wie die jüngst in Kuweit erschienene Enzyklopädie des Schariarechts hervorhebt, eine religiöse Pflicht, die sexuelle Integrität der Ehefrau und anderer weiblicher Sippenmitglieder zu verteidigen. Die bisweilen in Deutschland geäußerte Behauptung, „Ehrenmorde“ hätten mit dem islamischen Glauben nichts zu tun, ist unzutreffend; sie dient der Propagierung der These, die Scharia sei mit an den Menschenrechten orientierten Rechtssystemen vereinbar.
Quelle: Koranische Strafe, die nicht im Koran steht (FAZ)Wir danken vielmals für die Klarstellung.