Obwohl westliche Massenmedien jahrelang gepredigt haben, dass erstens der Islam nichts mit "Islamismus" zu tun habe und zweitens nur ganz wenige Muslime "Islamisten" seien, stellt der sogenannte Islamismus in den Ländern des "arabischen Frühlings", in Ägypten, in Libyen, in Tunesien, einen wichtigen (wenn nicht den wichtigsten) politischen Faktor dar. In Tunesien sind die Islamisten seit der Wahl auch offiziell die stärkste Kraft, in Libyen sind sie es de facto schon, ebenso in Ägypten. Hüben wie drüben wird die Scharia zur Grundlage der Rechtssprechung erklärt, kein Gesetz kann der Scharia widersprechen (vgl. "Kairoer Erklärung der Menschenrechte", Art. 22 ff.). Zwar beriefen sich auch vor der Revolution Führer, Verfassungen und Parlamente nominell auf die Scharia. Tatsächlich angewendet wurde das traditionelle islamische Recht offenbar kaum. Das passte den Islamisten nicht.
Einer ihrer neuen starken Männer, Rachid Ghannouchi von der tunesischen Ennahda-Partei, hat daher sogleich das Prinzip der Scharia, sofern richtig angewendet, erklärt. Seine Vision sei ein System, "in dem die Rechte Gottes, des Propheten [Mohammed], der Frauen, der Männer, der Religiösen und der Nicht-Religiösen gesichert sind". (Quelle) Die Rechte der Frauen sind also nicht die der Männer (was übrigens schon aus dem Koran hervorgeht), die Rechte der Religiösen sind nicht die der Nicht-Religiösen. Wenn Scharia eines nicht bedeutet, dann Gleichheit vor dem Gesetz. Kamran Ghanei vom "Zentralrat der Exmuslime" kommentiert betreffs der Scharia: "Im Islam ist das Recht verbunden mit der religiösen Pflicht. Im Grunde genommen ist die Freiheit des Menschen als ein Individuum in islamischer Belehrung unerkannt." (Quelle) Allah als oberster Souverän gibt den Menschen entsprechend ihrer Gruppenzugehörigkeit Rechte, Privilegien und Pflichten. Unteilbare Menschenwürde, gesellschaftlicher und religiöser Pluralismus sind in diesem System nicht vorgesehen.
Link: "SOS Österreich" bloggt, was Rachid Ghannouchi sonst noch treibt, schreibt und denkt.