Alle paar Monate meldet sich Frau Ingrid Thurner, "
Ethnologin und Lehrbeauftragte am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien", in der "Süddeutschen Zeitung" zu Wort und tut ihre Ansichten über die Weltläufte kund, vor allem aber über das islamische Kopftuch und darüber, dass es nicht ein Symbol der Unterdrückung und sozialen Abgrenzung, sondern vielmehr feministischer Selbstbehauptung sei, zuletzt am 21.6. unter dem Titel "
Der nackte Zwang".
Nun kann man einer Ethnologin nachsehen, dass sie keine Ahnung von den ideologisch-dogmatischen Hintergünden der weiblichen Verhüllung im Islam hat, denn es gehört nicht zu ihrem Fachgebiet, sich mit diesen vertraut zu machen. Man kann ihr aber nicht nachsehen, dass sie die eigene Ahnungslosigkeit mit Alt-68er- und Feminismus-Ideologie zu bemänteln sucht und Frauen und Männer, die das Kopftuch auf faktischer Ebene kritisieren, als eigentliche Antiaufklärer an den Pranger stellt.
So produziert Thurner, von Wissen und Faktenbezogenheit unbeschwert, solche Sätze:
Als die muslimische Frau in der
Öffentlichkeit sichtbar wurde, verwandelte sie sich in ein Problem. Sichtbar ist sie erst, seit sie begonnen hat, ihren Körper zu verstecken und damit selbstbewusst aufzutreten. Das tut sie nun seit einigen Jahren. Vorher verursachte sie keine Aufregung, keine Schlagzeilen und kein Engagement.
Was verstecken mit Selbstbewußtsein zu tun hat bleibt das Geheimnis einer Autorin, die unberührt und unberührbar über den Dingen schwebt wie der Heilige Geist.
Fast wäre man versucht, den Umkehrschluss zu ziehen und weibliche Nacktheit als Symbol weiblicher Freiheit zu deuten. Aber welchen Zwängen unterwerfen sich nicht konform-westlich denkende
Frauen für den Auftritt in der Öffentlichkeit? Hohe Absätze, hautenge Jeans, frieren in der Kälte, ein Leben lang hungern, alles um den Körper vorzeigbar zu machen, dazu ständige Kontrolle, ob die Haarsträhnen richtig liegen, ob der Busen richtig steht, ob die Träger sitzen.
Unwillkürlich zwingt sich dem Leser der Verdacht auf, dass jede Frau "konform-westlich" denkt, die besser aussieht als die Nonkonformistin Thurner.
Genau genommen unterliegen Musliminnen hierzulande dem Zwang, das Kopftuch nicht zu tragen.
Und so versucht sich Thurner an einer gewagten Neuinterpretation der Ideale der Frauenbewegung unter islamischen Vorzeichen:
Die Motive der Frauen und die Charaktere, die sie verhüllen, sind so verschieden wie die Persönlichkeiten, die sich von Spaghettiträgerchen präsentieren lassen. Aber als eine wesentliche Begründung für die Bedeckung geben Musliminnen immer wieder an, dass sie sich nicht über ihren Körper definieren lassen wollen. Es scheint in Vergessenheit geraten, dass dies auch einmal ein Anliegen westlichen Feminismus war. Kein Objekt der sexuellen Begierde mehr wollte frau sein.
Dass Frauen im Islam verhüllt werden,
weil sie Objekte der sexuellen Begierde sind, entgeht Thurner völlig: "Eure Frauen sind ein Saatfeld für euch; darum bestellt euer Saatfeld wie ihr wollt." (Koran, Sure 2, Vers 223) Die Frau im Islam wird gerade über ihre Sexualität definiert. Aus ihrer physischen Beschaffenheit ergibt sich die Ungleichberechtigung der Frau im islamischen Recht. Kopftuch und Schleier dienen traditionell der Ausgrenzung des Sexuell-Weiblichen aus dem öffentlichen Raum. Auch die
fatwas zeitgenössischer arabischer Islamgelehrter, die Frauen die Erlangung einer Fahrerlaubnis etc. verweigern, zielen genau auf diese Kontrolle der - im Wortsinn - "Freizügigkeit" der Frau. Die Feministinnen wollten aber nicht nur kein
Objekt, sondern vor allem
Subjekt sein, das ein Recht auf den eigenen Körper und sexuelle Selbstbestimmung hat. Der Islam sieht weder das eine, noch das andere vor.
Der Kommentarbereich unter dem SZ-Artikel umfasst derzeit 146 Einträge. Auch hier bestätigt sich die Erkenntnis, dass islamkritische Kommentare in der deutschen Presse um so geringere Chancen auf Veröffentlichung haben, je mehr mit Bezug auf Fakten argumentiert wird. Daher sei an dieser Stelle der bislang unveröffentlichte Kommentar des Bloggers nachgereicht:
Frau Thurner mag sich ihren eigenen Reim auf das Kopftuch machen und den sprunghaften Anstieg der Kopftücher ob hierzulande oder in der "islamischen Welt" als Ausdruck einer feministischen Revolution statt einer tatsächlich stattfindenden Re-Islamisierung ehemals säkularer Bevölkerungsschichten fehlinterpretieren. Das ist ihr gutes Recht. Festzuhalten ist jedoch, dass Thurner von jedem Wissen unbeleckt ist, was die Verhüllung der Frau in der islamischen Sexualethik eigentlich bedeutet. Diese lehrt, dass Männer nicht in der Lage seien, ihre Triebe zu beherrschen, die durch den Anblick der unverhüllten Frau aktiviert werden. So seien sie gleich einem geistlosen Tier dazu "verurteilt", der unverhüllten Frau nachzustellen - die klassische Umkehrung des Täter-Opfer-Verhältnisses, die sich etwa in islamischer Rechtsprechung niederschlägt, die Vergewaltigungsopfer als "Ehebrecherinnen" sieht. Frei sind in diesem System weder Frau noch Mann; der ihm innewohnende Zwang hat notwendigerweise zur Folge, dass sich Kopftuchträgerinnen gegenüber Frauen, die das Kopftuch ablehnen, sowohl sozial als auch ethisch-moralisch subjektiv aufgewertet ("ehrbar") und jene abgewertet sehen.
Zwar mag es Kopftuchträgerinnen geben, die das Kopftuch tatsächlich freiwillig, als Folklore oder Zeichen kultureller Identität tragen. Am ideologisch-dogmatischen Hintergrund des Kopftuchs ändert dies jedoch nichts. Ferner wird die gebetsmühlenhaft wiederholte "Freiwilligkeit" des Kopftuchtragens in Koranschulen ad absurdum geführt, in denen schon Mädchen im Grund- und Vorschulalter "freiwillig" Kopftuch tragen - und zwar nicht nur in Riad, sondern in einer x-beliebigen deutschen Stadt.